Die Gemeinde Raesfeld am Dienstagabend hat zu einer Informationsveranstaltung im Forum der St. Sebastian-Grundschule eingeladen, um über die aktuelle Flüchtlingssituation zu informieren.
Bei der gut besuchten Informationsveranstaltung äußerte Bürgermeister Martin Tesing eine klare Position zur Flüchtlingspolitik: „Wir brauchen eine grundlegende Veränderung im Asylrecht. Alles andere ist nur Kosmetik.“ Diese Ansicht fand auch Zustimmung unter den Verwaltungsvertretern.
Die Veranstaltung mit rund 70 Besuchern zeichnete sich durch eine ruhige Atmosphäre aus, während die Gemeindevertreter – Bürgermeister Tesing, Markus Büsken als Erster Beigeordneter und Norbert Altrogge, Leiter des Sozialamtes und die Integrationsbeauftragten Nicole Höbing – detaillierte Informationen über die aktuellen Flüchtlingszahlen und -fakten präsentierten.
Wie viele Flüchtlinge 2024?
In einer detaillierten Ausführung über die Flüchtlingslage in Raesfeld betonte Bürgermeister Tesing die Unsicherheit bezüglich der Anzahl der Flüchtlinge, die der Gemeinde in diesem Jahr zugewiesen werden könnten: „Wenn wir wirklich wüssten, wie viele kommen, dann wären wir schon ein Schritt weiter. Wir wissen es aber nicht und wären, wenn wir es wüssten, einen großen Schritt weiter, auch was die Planungen anbelangt.“
Markus Büsken, der Erste Kämmerer, sprach das Problem der zunehmend knapper werdenden Unterbringungsmöglichkeiten an und betonte den starken Anstieg der Zahlen seit Oktober: „Die Plätze werden immer knapper. Seit Oktober sind die Zahlen explodiert“. Er stellte die Frage in den Raum, wie es weitergehen solle, wenn keine Belegungsmöglichkeiten mehr verfügbar sind.
Aktuelle Zahlen aus Raesfeld
Norbert Altrogge, Leiter des Sozialamtes, untermauerte die Diskussion mit konkreten Zahlen: Von den 11.817 Einwohnern Raesfelds (Stand 1. Januar) kommen etwa 589 Personen, fünf Prozent, aus Drittstaaten. Die größten Gruppen bilden mit jeweils 24 Prozent Syrer und Ukrainer.
Dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen
Aktuell leben 58 ukrainische Frauen, 42 Männer und 44 Kinder in Raesfeld. Altrogge betonte das Kapazitätsproblem und die Schwierigkeiten bei der dezentralen Unterbringung: „Uns fehlen die Kapazitäten“. Raesfeld verfügt über 41 Unterkünfte, davon elf im Eigentum und 30 angemietete. Trotz einiger Angebote sei der Markt momentan „leergefegt“. 35 dieser Unterkünfte befinden sich in Raesfeld, vier in Erle und zwei in Homer.
In der Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen in Raesfeld wurde deutlich, dass im Herbst alle Optionen sorgfältig geprüft wurden. Letztendlich verblieben als praktikable Lösungen das Jugendhaus in Erle und die Turnhalle der Silvesterschule. Hinzu kommt die Herausforderung, die durch den Zuzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen entsteht, die bereits ein Aufenthaltsrecht erhalten haben.
Menschlichkeit der Unterbringung
Der Erste Beigeordnete äußerte Bedenken hinsichtlich der Menschlichkeit der Unterbringung in der Turnhalle. Auf eine Frage aus dem Publikum, warum nicht präventiv Container bestellt wurden, erklärte er, dass diese kurzfristig nicht verfügbar gewesen wären. Bürgermeister Tesing erläuterte zu der Frage, warum die Gemeinde nicht vorbeugend mehr Unterkünfte schafft: „Das sei ein bisschen wie Pokern, was die Finanzen betrifft“. Es bestehe keine Gewissheit, dass alle Plätze auch belegt würden.
Dezember keine neuen Flüchtlinge angekommen
In der fortlaufenden Diskussion über die Flüchtlingsunterbringung in Raesfeld wurde festgestellt, dass sich seit Ende November wenig an der Belegungs- und Zuweisungssituation geändert hat. Die Kapazitätsgrenzen der Gemeinde sind erreicht. Bürgermeister Tesing sah es als eine Art kleines Weihnachtsgeschenk an, dass im Dezember keine neuen Zuweisungen erfolgten. Allerdings wird erwartet, dass im Januar die Zahlen wieder ansteigen und die verfügbaren Unterbringungsmöglichkeiten noch stärker beansprucht werden.
Vier Personen in einem Zimmer
Norbert Altrogge, Leiter des Sozialamtes, wies darauf hin, dass mittlerweile nur noch etwa 14 bis 15 Quadratmeter für vier Personen zur Verfügung stehen. Er äußerte die Befürchtung, dass dies auch zu Konflikten führen könne, insbesondere wenn unterschiedliche Kulturen auf engem Raum zusammenleben müssen. Trotz dieser herausfordernden Bedingungen hob Nicole Höbing, die Integrationsbeauftragte, hervor, dass es bisher sehr wenige Konflikte gegeben habe. Höbing erwähnte auch die emotionalen Aspekte ihrer Arbeit, insbesondere im Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen oder neuen Zuweisungen, wie beispielsweise Flüchtlinge im Rollstuhl.
Keine Planungssicherheit für die Gemeinde
In der Diskussion über die Flüchtlingsunterbringung in Raesfeld wurde das Thema der Planungsunsicherheit angesprochen. Aus dem Publikum kam Kritik an der Verwaltung wegen vermeintlicher Planungsdefizite. Ein Vorwurf lautete, dass jeder Unternehmer besser plane und dies auch für die Gemeinde möglich sein müsste. Die Antwort darauf war ein Hinweis auf die Unvorhersehbarkeit der Situation: „Das wäre schön, wenn wir das wüssten… einen sogenannten ‚Blick in die Glaskugel‘ gibt es nicht.“
Unterbringung von Flüchtlingen im Jugendhaus
Bezüglich der Unterbringung von Flüchtlingen im Jugendhaus Erle (nach Ratsbeschluss vom 13.11.2023) wurden verschiedene Vorschläge diskutiert, darunter die Nutzung von Turnhallen, Raesfeld oder Containern. Bürgermeister Tesing wiederholte, dass es eine etwa viermonatige Wartezeit für Container gebe und dass die Verwaltung weiterhin einen geeigneten Standort dafür suchen müsse.
Veränderte Nutzung der Jugendhäuser
Markus Büsken, erläuterte die veränderte Nutzung der Jugendhäuser in Raesfeld und Erle, die heute anders genutzt werden als in den 1990er Jahren. So wird beispielsweise das Jugendhaus Raesfeld zum „Haus der Vereine“ umgebaut, in dem zukünftig das Deutsche Rote Kreuz, derzeit noch im ehemaligen Hotel Epping, die Fanfaren und der Kaninchenzuchtverein untergebracht werden sollen.
Jugendarbeit in der Gemeinde
Auf eine Frage aus dem Publikum, ob die aktuelle Nutzung der Jugendhäuser einen Eingriff in die Jugendarbeit darstelle, bestätigte Markus Büsken dies mit einem klaren „Ja“. Er erläuterte weiter, dass deshalb geplant sei, die Jugendarbeit in Raesfeld und Erle neu zu organisieren. Büsken sprach von der Entwicklung spezieller Veranstaltungen und Gruppenangebote, um die Jugendarbeit zukünftig wieder zu stärken.
Tesing unterstrich, dass die Nutzung des Jugendhauses lediglich eine temporäre Maßnahme darstelle und keine langfristige Lösung sei. Tesing: „Das ist keine Lösung auf Dauer.“
Standortfrage Schützenfestplatz Erle
In der Diskussion über mögliche Standorte für die Unterbringung von Flüchtlingen in Raesfeld wurde der Erler und Raesfelder Schützenfestplatz als eine optimale Option erwähnt. Markus Büsken wies jedoch darauf hin, dass die Gemeinde nicht der Eigentümer dieses Geländes in Erle sei. Er bestätigte, dass der Platz grundsätzlich als Standort in Frage käme. Auf die Frage von Carlo Behler aus Erle, ob der Schützenfestplatz als letzte Möglichkeit („Ultima Ratio“) in Betracht gezogen werden könnte, antwortete Büsken, dass dies durchaus möglich sei, jedoch sei die Verwaltung weiterhin auf der Suche nach alternativen Standorten für Container und stehe in Verbindung mit verschiedenen Vermietern.
Weitere Flüchtlinge werden in der Gemeinde erwartet
Hinsichtlich der Flüchtlingszahlen erklärte Norbert Altrogge, dass die Gemeinde im Januar erneut neue Flüchtlinge aufnehmen müsse. Für das laufende Jahr seien insgesamt 70 Flüchtlinge gemeldet, wobei diese Zahl nicht feststehe und sich ändern könne: „So können es auch nur 20 oder auch 100 Flüchtlinge sein“, so Altrogge.
Globale Entwicklung
Altrogge wies auch darauf hin, dass aufgrund globaler Entwicklungen mit weiteren Flüchtlingen, unter anderem aus Palästina und Israel, zu rechnen sei. Diese würden zunächst in eine Zentralunterkunft in Bochum gebracht und von dort aus auf die einzelnen Kommunen verteilt.
Bürgermeister Tesing äußerte sich abschließend zur allgemeinen Situation in Raesfeld: „Wir Raesfelder stehen mit diesem Problem nicht alleine da. Nicht nur das wir als Gemeinde am Limit sind, sondern wir werden auch den Menschen nicht mehr gerecht.
Warum wurden noch keine Container angeschafft?
Ein Besucher stellte die Frage, warum die Verwaltung nicht bereits mit Blick in die Zukunft Container anschaffen oder mehr bauen würde. Bürgermeister Tesing erklärte, dass vorausschauende Planung in diesem Fall nicht einfach möglich sei. „Die Gemeinde kann keine Plätze auf Vorrat schaffen. Das ist wie ein bisschen wie Pokern, was die Finanzen betrifft, denn wir können nicht sicher sein, ob alle Plätze belegt werden können“, sagte er. Dies wurde auch durch die Zahlen des Vorjahres belegt, bei denen von den 126 angekündigten Flüchtlingen 116 tatsächlich ankamen. Für das laufende Jahr seien derzeit 70 Flüchtlinge zur Aufnahme angekündigt.
Wie hoch sind die Kosten für Flüchtlinge?
Zur finanziellen Seite der Flüchtlingsunterbringung lieferte Daniel Knufmann Zahlen aus den ersten drei Quartalen des Jahres 2022: Die Ausgaben der Gemeinde für Flüchtlinge beliefen sich auf etwa 120.000 Euro, mit Ausgaben von 260.000 Euro und Zuschüssen von 170.000 Euro, was einen Eigenanteil der Gemeinde von 90.000 Euro bedeutet.
Thema Schule
Die Kapazitätsengpässe in den Schulen wurden ebenfalls thematisiert. Von den insgesamt 144 schulpflichtigen Kindern in der Gemeinde besuchen 17 mit Migrationshintergrund, sowie 43 in Erle (5 Kinder mit Migrationshintergrund) die Grundschulen. Hinzu kommt, dass zehn Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf haben, was die Belastung für die Lehrkräfte weiter erhöht, so Büsken. Aktuell stehen fünf Kinder auf der Warteliste der Gesamtschule. „Wir sind aber in Gesprächen mit dem Kreis Borken, ein besonderes Programm für Flüchtlingskinder zu planen“, führte er aus.
Priorisierung der Flüchtlingskinder?
Eine Frage aus dem Publikum betraf die Priorisierung der Flüchtlingskinder in der Erler Grundschule gegenüber den einheimischen Kindern, beispielsweise Förderunterricht. Dazu äußerte sich Ilona Schmidt, die Deutsch für Flüchtlingskinder unterrichtet: „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Im Gegenteil. Die Erler Kinder profitieren sogar von dem Unterricht mit den Flüchtlingskindern.“ Sie betonte, dass der zusätzliche Förderunterricht eine Aufgabe des Landes sei und nicht in der Verantwortung der Gemeinde liege.
Luxuriöse Unterbringung von Flüchtlingen?
Auf die Frage, ob Flüchtlinge zu luxuriös untergebracht werden, erwiderte Nicole Höbing, dass ein Zimmer von 10 bis 15 Quadratmetern für vier Personen keineswegs als luxuriös anzusehen sei.
Rückführung der Flüchtlinge?
Auf die Frage, warum die Gemeindeverwaltung die Flüchtlinge nicht einfach zurücksende, verwies Altrogge die Aufnahmeverpflichtung der Gemeinde. Jeder Flüchtling ohne Unterkunft gilt als obdachlos und muss aufgenommen werden. „Damit schließt sich wieder der kreis“.
Kriminalität in Flüchtlingsunterkünften?
Bezüglich der Kriminalität in Flüchtlingsunterkünften, insbesondere unter Männern, gab Nicole Höbing an, dass es auf engem Raum zu Streitigkeiten kommen könne, sie jedoch nie Angst habe, selbst in Unterkünfte zu gehen, in denen nur Männer leben. Sie merkte auch an, dass die Zusammenarbeit mit den Nachbarschaften gut verlaufe.
Ehrenamtliche für Flüchtlinge in Raesfeld
Nicole Höbing würdigte das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingshilfe besonders und bezeichnete die 40 bis 50 ehrenamtlich Tätigen, die sich in der Integration einbringen, als „die Wichtigsten“.
Sie hob hervor, wie wertvoll die Arbeit der Familienpaten ist, die nicht nur bei der Vermittlung von Arztterminen unterstützen, sondern auch in anderen Bereichen aktiv sind. Weiterhin erwähnte sie die Helfer in der Fahrradwerkstatt und im Kleiderkeller, welche sie als „einen festen Treffpunkt“ bezeichnete, sowie die Lesepaten.
Für alle Interessierten: Das nächste Treffen der Helferinnen und Helfer ist für Donnerstag, den 1. Februar, um 19 Uhr im Kolpinghaus in Raesfeld angesetzt. Dazu seien Interessierte herzlich eingeladen, die sich in der Flüchtlingshilfe einbringen möchten.
Zahlen und Fakten
Flüchtlinge aus der Ukraine: 58 Frauen, 44 Kinder und 42 Männer
Situation in den Kitas und Tagepflege – Gesamtzahl der betreuten Kinder -Stand November:
Raesfeld gesamt: 808, davon 30 Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit
Erle gesamt: 303, davon 11 Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Flüchtlinge in gemeindlichen Unterkünften – wirtschaftliche Situation:
263 Personen erhalten Bürger/Wohngeld
48 Personen sind Selbstzahler
30 Personen beziehen Asylbewerberleistung nach dem AsylbLG
Gesetzliche Aufnahmeverpflichtung: Wieviel Flüchtling sind noch aufzunehmen?
1. Januar 2023: 126 aufzunehmende Flüchtlinge. 116 in 2023 tatsächlich aufgenommen.
1. Januar 2024: 70 aufzunehmende Flüchtlinge
„Wir brauchen eine grundlegende Veränderung im Asylrecht. Alles andere ist nur Kosmetik.“
Bürgermeister Martin Tesing