Einer der Höhepunkte des Schützenfestes in Raesfeld ist jedes Jahr das Totengedenken samt Großem Zapfenstreich am Samstagabend
Totengedenke, Kranzniederlegung und Salutschüsse am Rathaus waren der traditionelle Auftakt des dreitägigen Schützenfestes in Raesfeld.
Am Samstagabend am 19 Uhr startete der Umzug vom Festzelt Am Michael gemeinsam mit dem Raesfelder Königspaar Michael Nattefort und Rita Kölking sowie dem Ehrengefolge zum Raesfelder Friedhof.
Nachdem auch die Raesfelder Schützengemeinschaft coronabedingt seit 2019 auf ihr Schützenfest in der Schlossgemeinde verzichten mussten, war die Vorfreude auf die anstehenden Festtage bei allen Beteiligten groß.
Besondere Stimmung
Die Pandemie und der Ukraine-Krieg ging auch nicht an die Raesfelder spurlos vorbei. Sie haben nicht nur die Gedanken der Menschen, sondern auch die Party- und Feierkultur verändert. Sie ist nun geprägt von mehr Rücksicht, mehr Vorsicht – aber auch die Sorgen und Ängste schwingen mit. Und so lag fast greifbar – trotz bestes Sommerwetter – eine besondere Stimmung an diesem Abend in der Luft.
Krieg in der Ukraine
Das wurde sehr deutlich, als Pastor Fabian Tilling seine Ansprache am Ehrenmal hielt. Bedingt durch die aktuellen Geschehnisse standen nicht die Menschen, die vor rund 80 Jahren ihr Leben ließen, im Vordergrund, sondern der Fokus seiner Ansprache bezog auf jetzt, auf heute. „Wir sehen im Fernsehen, wie neue Kriegsgräber ausgehoben werden – auf russischer, wie auf ukrainischer Seite – und auf beiden Seiten sind es Ehefrauen, Kinder, Eltern, die zurückbleiben und deren Trauer sich nicht voneinander und von der unserer Großeltern unterscheidet“.
Im Anschluss gab es den Großen Zapfenstreich am Rathaus unter musikalischer Beteiligung der Raesfelder Burgmusikanten, dem Spielmannszug Heiden und dem Fanfarencorps Raesfeld. Und auch hier herrschte beim Spielen der deutschen Nationalhymne schon fast andächtiges Schweigen. Viele der Zaungäste, aber auch Schützen, König und Throngemeinschaft sangen mit.
Umzug und Parade
Getreu dem Motto: Eintracht-Ordnung-Frohsinn feiert der Allgemeine St. Johannis-Bürgerschützenverein Raesfeld am ersten Juliwochenende (2. – 4. Juli) sein Schützenfest in Raesfeld.
Heute um 15 Uhr geht es mit dem Antreten der Schützen im Festzelt und Abmarsch zur großen Musikparade weiter. Freuen dürfen sich Familien, Kinder und alle Schützenfreunde auf den festlichen Umzug durch das Dorf mit den amtieren Hoheiten.
Am Montag steht dann das Vogelschießen ab 12 Uhr in Pastors Busch an. Dann wird sich zeigen, wer Michael Nattefort ablöst und neuer König von Raesfeld wird.
Ansprache von Pastor Fabian Tilling zum diesjährigen Totengedenken
Gemeinsam sind Sie heute Abend in festlicher Ordnung auf den Raesfelder Friedhof gezogen. Es ist ein Ort für die Trauer, eine Oase der Ruhe zum stillen Verweilen.
Viele von Ihnen werden hier einen besonderen Ort haben, den Sie häufiger aufsuchen, weil sie persönlich etwas damit verbinden: die Gräber Ihrer Verwandten (Großeltern, Eltern,…) oder Nachbarn oder gute Freunde.
Etwas weniger im Blick werden die Menschen sein, derer wir heute gedenken. Ihr Tod jährt sich jetzt schon an die 80 Jahre. Wir wissen von ihnen und ihrem oftmals kurzen Leben, das der Krieg so grausam beendete, allenfalls durch die Erzählungen von Eltern oder Großeltern, die ihre Geschwister, Cousins oder Onkel verloren haben und ein Leben lang mit dieser Lücke leben mussten.
Uns heute im Jahr 2022 geht dieser Ort vielleicht aus anderen Gründen besonders nahe. Wir erleben wieder Krieg in Europa, nicht weit von uns. Wir erfahren in unserer Nachbarschaft, in der Schule, wie Menschen zu uns kommen, die heute um ihre Angehörigen – Väter, Ehemänner, Großeltern – bangen. Wir sehen im Fernsehen, wie neue Kriegsgräber ausgehoben werden – auf russischer, wie auf ukrainischer Seite – und auf beiden Seiten sind es Ehefrauen, Kinder, Eltern, die zurückbleiben und deren Trauer sich nicht voneinander und von der unserer Großeltern unterscheidet.
Lange glaubte ich, die Menschheit müsste doch gelernt haben, dass Kriege nur Verlierer hervorbringen: Menschen verlieren ihr Leben – die Menschlichkeit geht verloren. Leider scheint das nicht so zu sein. Man kann sich damit abfinden, im Blick auf die Geschichte lakonisch sagen: Kriege hat es immer gegeben.
Das ist leider wahr – auch wenn nicht immer so intensiv darüber berichtet wurde, waren die letzten fast 80 Jahre nur für uns Deutsche und viele Europäer eine Epoche des Friedens. An anderen Orten der Welt wurden erbitterte Kriege geführt. Ich möchte mich aber nicht damit abfinden.
Ein Gegengewicht ist für mich das Gebet um den Frieden. Es schafft nicht gleich eine andere Realität, aber es öffnet den Raum für Möglichkeiten jenseits dessen, was wir menschlich für erwartbar halten.
Es zeigt mir: Da ist einer, der noch einmal größer ist, an den ich mich ganz persönlich wenden kann. Da habe ich auch Platz für meine offenen Fragen. Das in Gemeinschaft zu tun, tut gut. Wöchentlich treffen unweit von hier – vor dem Lukaszentrum – Christinnen und Christen in ökumenischer Verbundenheit, um für den Frieden zu beten.
So möchte ich auch hier beten:
Gott, wie zerbrechlich unsere Sicherheiten sind, wie gefährdet unsere Ordnungen, das erleben wir in diesen Tagen. Wer sieht uns mit unserer Hilflosigkeit und Angst? Wütend und fassungslos erleben wir, wie Machthaber die Freiheit und das Leben vieler Menschen gefährden. Wie am Rand Europas ein Krieg im Gange ist und noch kein Ende in Sicht.
Was geschieht als Nächstes? Welchen Informationen können wir trauen? Was können wir tun, das helfen oder etwas bewegen würde?
Sieh du die Not. Sieh unsere Sorgen. Sieh du die Angst so vieler Menschen.
Wie so viele suchen wir Zuflucht bei dir und Schutz, innere Ruhe und einen Grund für unsere Hoffnung. Wir bringen dir unsere Sorgen. Wir bitten dich für die, die um ihr Leben fürchten, und für die, die sich beharrlich für friedliche Lösungen einsetzen.
Schenke du, o Gott, den Frieden, den die Welt nicht geben kann. Mache uns zu Werkzeugen deines Friedens. Amen. (vgl. Friedensgebete der EKD) Halten wir einen Augenblick der Stille zum ehrenden Andenken an die Gefallenen, zur Mahnung für die Lebenden und zum Trost für alle, die in dieser Stunde um einen lieben Menschen trauern.