Autor Michael Kleerbaum. Die Dorfbewohner von Erle erinnern sich sicherlich alle an Frau Anni Dicker. Von Anfang 1952 bis Ende 2005 hat sie in dem unverwechselbaren Häuschen an der Silvesterstrasse auf dem Gelände der Silvesterschule gewohnt, heute als Heimathaus bekannt. Sie war gut Freund zu Generationen von Schul- und Nachbarskindern und ist als Bedienung bei Arno noch vielen Menschen in guter Erinnerung.
Es gibt Erfreuliches von Frau Dicker zu vermelden!
Sie wird morgen, am 20.12.2009… 90 Jahre jung!
Sie wohnt jetzt in Südhessen bei ihrem Sohn und ist immer noch an Erle, deren Einwohner und den Begebenheiten hier interessiert. Über ihre Kontakte, die sie pflegt und auch über den Heimatreport, den sie über ihren Sohn empfangen kann hält sie sich auf dem Laufenden, was ihre alte Heimat angeht.
Frau Dickers Ehemann war von 1946 bis 1968 der Polizist in Erle und Frau Dickers Haus in den Jahren auch der Polizeiposten.
Erinnerungen an Frau Dicker
Als wenn es gestern gewesen wäre. Ich erinnere mich gerne an die Zeit als Kind und Jugendlicher zurück. Die unbeschwerten Sommertage, Ende der 70er, Anfang der 80er, als sich die Kinder des Schulhofs und die Kinder des Kirchplatzes auf dem Schulhof zum Spielen trafen und bis in die Dämmerung dort die Ferien verbrachten gehören zu meinen liebsten Erinnerungen.
In diesen Zeiten haben meine damalige Jugendfreundin und ich Frau Dicker kennen gelernt. An das genaue wie und warum kann ich mich zwar nicht mehr erinnern, aber ich war schon immer fasziniert von diesem Haus und dem geheimnisvollen Garten drum herum. Leute, die nur das Heimathaus kennen können sich das gar nicht vorstellen, aber vom Schulhof her betrat man diese, in Kinderaugen, verwunschene Welt durch ein kleines Gartentor.
Links und rechts standen hohe und niedrige Bäume und selbst im Sommer war es in diesem kleinen Hohlweg immer kühl und die Steinplatten immer von den Bäumen grün und mosig. Nach ein paar Metern kam man dann an die Hintertür, zu denen ein paar Stufen hinaufführten. Links konnte man sein Fahrrad abstellen, rechts ging es zu den Schuppen und zur kleinen Terrasse, die man vom Schulhof kaum einsehen konnte. Auch hier gab es dichtes Gebüsch und die Bäume rauschten im Wind.
Die alte Wellblechgarage dann auf der rechten Seite, auf der linken schlossen sich dann, L-förmig angeordnet, ein paar Schuppen an das Haus an, in denen u.a. das Heizmaterial gelagert wurde. Hinter der Garage gab es dann, für uns Kinder, das beste am ganzen Garten: Zwischen der Garage und dem Weg zwischen Schulhof und Silvesterstrasse, der heute an der Volksbank vorbei geht damals noch völlig sich selbst überlassen war gab es ein kleines Areal, das mit einigen Bäumen bestanden und zu diesem Weg mit einer dichten Hecke abgeschlossen war. Das perfekte Gelände, um sich dort eine Bude oder Indianerhöhle zu bauen! Man konnte von außen nicht so ohne weiteres gesehen werden, von innen aber fast alles beobachten. Ganz toll für uns Kinder.
Aber auch das Haus selber hatte es in sich. Alleine schon diese schweren Innentüren mit den, für uns Kinder der 70er, exotischen Türgriffen mit dem Daumendrücker! Und in jedem bewohnten Zimmer bollerte im Winter ein Kohle- oder Holzofen mit der bekannten urigen Wärme. Im Sommer aber war das Haus immer schön kühl.
Das ganze Haus strahlte eine Atmosphäre aus, die mich als Kind und Jugendlicher immer wieder dort hinzog. Ich erinnere mich noch wie heute an ein Kinderspielzeug, das Frau Dicker hatte: Eine Poststation. Mit einem kleinen Postauto konnte man drei Plastik-Postkarten anliefern, die wurden dann durch einen Mechanismus automatisch vom Auto abgeladen, durch die Poststation gezogen, und für Kinderaugen besonders spannend immer richtig einsortiert! Wie viele regnerische Nachmittage haben meine Jugendfreundin und ich dort verbracht, fasziniert von diesem Spielzeug.
Das ich, das wir das alles so erleben durften ist natürlich der Großherzigkeit und der Kinderliebe von Frau Dicker zu verdanken. Nachdem meine letzte verbliebene Oma dem Alzheimer zum Opfer gefallen war wurde Frau Dicker zu meiner „Oma“. Ich konnte immer zu ihr kommen, wenn mir die Decke zuhause mal wieder auf den Kopf gefallen ist oder ich einfach nur jemanden zum Reden brauchte. Ein paar Mal habe ich sie aus Versehen mit „Oma“ angesprochen, was mir dann augenscheinlich peinlich war, aber sie hat dann mit ihrem einzigartigen Lachen die Situation wieder geklärt und gemeint, das sei in Ordnung.
Etwas, was ich erst später zu schätzen gelernt habe war aber auch die andere Seite von Frau Dicker. Normale Omas verwöhnen ihre Enkel und lassen alles durchgehen. Frau Dicker war da anders. Sie sagte immer gerade heraus, wenn ihr was nicht passte oder wenn sie mal keine Lust hatte, uns Blagen zu ertragen. Da war sie freundlich, aber konsequent!
Leider ist so um die Zeit, als ich meine Ausbildung abgeschlossen habe und ich ins Berufsleben gestartet bin die enge Beziehung zu Frau Dicker aus irgendeinem Grunde loser und lockerer geworden und mit der Zeit habe ich sie nur noch bei ihren täglichen Spaziergängen gesehen oder wenn sie in ihrem Garten gearbeitet hat.
Und dann war sie plötzlich weg. Umgezogen zu Ihrem Sohn irgendwo in Süddeutschland hieß es. Ich konnte es kaum glauben und ärgerte mich selber darüber, dass ich den Kontakt in den letzten Jahren so habe schleifen lassen. Aber Frau Dicker war ja immer da, sie gehörte zum Inventar vom Dorf!
Umso mehr freue ich mich darüber, dass der Kontakt im letzten Jahr über Telefon, Brief und Internet wieder regelmäßiger geworden ist und ich freue mich über jedes Gespräch als wenn es wieder die 70er oder frühen 80er wären!
In diesem Sinne, herzlichen Glückwunsch Frau Dicker!