Im nächsten Jahr wird der „deutsche“ Muttertag hundert Jahre alt. Sein Siegeszug begann allerdings in Amerika. Dabei sollte bei der Ehrung der Mutter auch ein Zeichen für Frieden und sozialer Fürsorge gesetzt werden.
Entgegen einer populären Meinung ist der Muttertag keine Erfindung der Blumenindustrie oder gar der Nazis, sondern geht auf Anna Marie Jarvis zurück. Die Pfarrerstochter aus West Virginia wollte an die wichtige soziale Rolle ihrer Mutter Ann Maria Reeves Jarvis erinnern.
Ihre Mutter hatte zwölf Kinder geboren, von denen nur vier bis ins Erwachsenenalter überlebt hatten. Schlechte hygienische Verhältnisse und unzureichende medizinische Versorgung hatte den anderen ein kurzes Leben beschert. Diese schrecklichen Verluste hatten Ann Maria sehr geprägt. Sie widmete ihr Leben dem Versuch, das Los von Müttern und Kindern zu verbessern.
Frauengemeinschaft half anderen Müttern
So gründete sie mit anderen Müttern Arbeitsgemeinschaften, die auf eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und Gesundheit für Mütter und Familien hinarbeitete. Speziell für Frauen im Kindbett wollten sie ein besseres Umfeld schaffen. Die Frauen sammelten Geld für Medizin, die für viele kranke Mütter unerschwinglich war. Zudem stellten sie mit dem Geld Haushaltshilfen für Familien ein, in denen die Mütter zu schwach zur Versorgung ihrer Kinder waren. Jarvis Bruder, ein Arzt, half bei der medizinischen Beratung. So wurde unter der Leitung von Ann Maria zum Beispiel eine Milchkontrolle eingeführt, um Durchfallerkrankungen zu vermeiden. Außerdem besuchten die Frauen andere Haushalte, um Tipps zur Vermeidung von Krankheiten zu geben.
Zeichen für Frieden und Versöhnung
Während des amerikanischen Bürgerkrieges von 1861 bis 1865 setzte sich Ann Maria mit den anderen Müttern dafür ein, kranke und verwundete Soldaten beider Armeen gleichermaßen zu versorgen. Dabei setzten sie sich selbst großen Gefahren aus, denn die Soldaten litten oft unter ansteckenden Krankheiten. Nach dem Krieg brachte Ann Maria die Mütter aus beiden Lagern im Zeichen des Friedens und der Versöhnung wieder zusammen. Sie organisierte einen „Mütterlichen Freundschaftstag“ mit Musik und gemeinsamen Essen. Zeitlebens setzte sie ihre soziale Arbeit für mütterliches Wohlergehen, Frieden und familiäre Gesundheit fort, bis sie am 9. Mai 1905 im Alter von damals beachtlichen 72 Jahren starb.
Die Tochter setzte sich für Gedenktag ein
Ihre Tochter Anna Marie Jarvis wollte die unermüdliche Arbeit ihrer Mutter mit einem besonderen Tag ehren. Nach zwei Jahren des kirchlichen Gedenkens am Todestag ihrer Mutter organisierte Anna Marie den ersten „offiziellen“ Muttertag in ihrer Kirche. Sie spendete 500 rote und weiße Nelken für die anwesenden und für die verstorbenen Mütter.
Bereits 1914 wurde der Muttertag offiziell
Die Muttertagsbewegung gewann rasch viele Anhänger, so dass bereits 1914 der zweite Sonntag im Mai zum offiziellen Muttertag in den Vereinigten Staaten erklärt wurde. In Europa fand dieser Feiertag zunächst in der Schweiz Einzug, wo die Heilsarmee dafür geworben hatte.
Anna Marie war von der zunehmenden Kommerzialisierung des Muttertags allerdings nicht besonders begeistert. Sie wollte eher den sozialen Verdienst der Mütter herausheben und wehrte sich gegen eine Umwidmung zum Geschenktag.
Missbrauch durch die Nazis
In Deutschland wurde der erste Muttertag im Jahre 1923 gefeiert, was auf Dr. Rudolf Knauer, dem Geschäftsführer des “Verbands Deutscher Blumengeschäftsinhaber”, zurückzuführen war. Leider kam die Grundidee, nämlich die Würdigung der Mutter mit einem Zeichen für Frieden und Fortschritt zu verbinden, in Deutschland zunächst abhanden. Die Nazis missbrauchten den Feiertag als Ehrungstag der „deutschen Mutter“, die neben der Betreuung für Heim und Herd vor allem für künftige Soldaten sorgen sollte. Daher gehörte Küchen- oder Haushaltsbedarf seinerzeit zu den üblichen Geschenken an diesem Tag.
Heute ist das Fest ein Familientag
Von diesem völkischen Gedanken ist man heute glücklicherweise abgekommen. Heute ist der Muttertag ein gemeinsam begangener Familientag, bei der sich die Mama verwöhnen lassen darf. Kleine Geschenke, Blumen oder – im Idealfall – besonders brave Kinder gehören dabei immer noch dazu.