Gemeinsames Positionspapier der Städte und Gemeinden im Kreis und des Kreises Borken zur aktuellen Flüchtlingssituation – Adressatinnen sind Bundeskanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
Kreis Borken. Intensiv hat sich die Bürgermeisterkonferenz des Kreises Borken, die gestern (26.01.2016) auf Einladung von Landrat Dr. Kai Zwicker im Kreishaus Borken tagte, mit den sich vor Ort stellenden drängenden Fragen und Problemen aufgrund der Flüchtlingssituation befasst.
Ergebnis der Beratungen ist das nachfolgende Positionspapier, das von allen kreisangehörigen Kommunen und dem Kreis Borken getragen wird. Es wird nun Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel und Frau Ministerpräsidentin Kraft übermittelt, um mit großem Nachdruck erneut die erforderlichen Verbesserungen einzufordern. Gemeinsames Positionspapier der Städte und Gemeinden im Kreis und des Kreises Borken zur aktuellen Flüchtlingssituation:
Vorbemerkung:
Den Kommunen im Kreis Borken wurden mit Stand zum 01.01.2016 über 5.000 Ausländer zugewiesen, die sich im offenen Asylverfahren befinden.
Darüber hinaus befinden sich viele Ausländer im Kreis Borken, deren Asylverfahren – entweder positiv oder negativ – abgeschlossen sind. Zudem stehen in sieben Kommunen des Kreises insgesamt zehn Notunterkünfte mit zusammen rund 1.800 Plätzen zur Verfügung. Diese wurden zur Abwendung von Obdachlosigkeit der – vor der Verteilung auf die Städte und Gemeinde – zunächst in Obhut des Landes befindlichen Flüchtlinge eingerichtet. Laut Mitteilung der Bezirksregierung Münster sollen die Notunterkünfte in Borken, Gronau und Südlohn-Oeding mit insgesamt 680 Plätzen voraussichtlich bis Ende Februar bzw. März 2016 geschlossen werden.
Die drei Standortkommunen haben dann damit zu rechnen, dass sich die Zahl der ihnen zugewiesenen Flüchtlinge entsprechend erhöhen wird.
Sorgen – Erwartungen – Forderungen:
Aufgrund ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge und für die Bevölkerung im Westmünsterland insgesamt verfolgt die kommunale Familie im Kreis Borken die Entwicklung der vergangenen Wochen und ein damit verbundenes „Kippen“ in der Stimmung in Teilen der Bevölkerung mit großer Sorge: Auf der einen Seite hat es zu Silvester insbesondere in Köln in großer Zahl massive Verstöße gegen die Rechtsordnung vor allem durch junge Migranten bzw. Flüchtlinge gegeben. Auch bei uns im Kreisgebiet müssen wir leider inzwischen erste Delikte verzeichnen. Auf der anderen Seite mehren sich fremdenfeindliche oder rassistische Äußerungen – auch gegenüber Helfern und Verantwortlichen bei der Organisation der Flüchtlingshilfe. Tendenzen zur pauschalen Vorverurteilung bestimmter Flüchtlingsgruppen nehmen spürbar zu. Zudem hat es auch bei uns bereits Anschläge auf Unterkünfte gegeben. All dies sind verwerfliche Taten, die wir auf das Schärfste verurteilen. Es ist unser aller Pflicht, den Schutz der Flüchtlinge zu gewährleisten, die bei uns Obdach finden. Wir setzen dabei auch weiterhin auf die breite Akzeptanz in der Bevölkerung und das große Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger, auf das wir sehr stolz sind. Von den Ermittlungsbehörden erwarten wir, dass sie die Sachverhalte unverzüglich aufklären und die Justiz dann die Straftäter deutlich und spürbar zur Rechenschaft zieht.
Bürgerwehren geplant – klare Absage
Wir nehmen aber auch die Besorgnis und Bedenken der Bevölkerung sehr ernst. Gerade die herrschende Ungewissheit über die weitere Entwicklung schürt Zukunftsängste. Auf der Grundlage gefühlter Ohnmacht des Rechtsstaates werden bereits Bürgerwehren geplant oder formieren sich gar schon. Solchen Bestrebungen erteilen wir eine klare Absage.
Wenngleich unsere Polizei nicht überall und gleichzeitig präsent sein kann, darf die Bevölkerung darauf vertrauen, dass ihre Sicherheit grundsätzlich gewährleistet ist und bestmöglich geschützt wird. Gleichwohl sollte sie auch selbst achtsam sein und sich in Verdachts- und Ernstfällen mit der Polizei in Verbindung setzen. Die Bevölkerung muss zudem darauf vertrauen können, dass absolute Transparenz hinsichtlich der Rahmenbedingungen und Herausforderungen der aktuellen Flüchtlingssituation herrscht.
Viele Hilfsorganisationen, vielen Haupt- und Ehrenamtlichen
Nur durch Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang mit den Problemen, Belastungen und Belastungsgrenzen bleibt das notwendige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger als Grundlage für die Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlich so gravierenden Aufgabe bestehen.
Die Kommunen im Kreis Borken haben in den vergangenen Monaten gemeinsam mit Hilfsorganisationen, vielen Haupt- und Ehrenamtlichen in beeindruckender Weise ihre Solidarität bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation gezeigt. Dabei sind sie inzwischen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten. Deshalb sehen sie mit großer Sorge, dass in diesem Jahr womöglich ein Flüchtlingszustrom in gleichem Ausmaß wie 2015 auf sie zukommen könnte. Dies wäre so nicht mehr verkraftbar.
Daher bekräftigen sie folgende Forderungen:
1. Der weitere Zuzug von Flüchtlingen muss wirksam begrenzt werden und in klar geordneten Verfahren laufen!
2. Die Zuweisungen an die Kommunen sind möglichst auf die Flüchtlinge mit echter Bleibeperspektive zu konzentrieren!
3. Rückführungen sind im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen konsequent umzusetzen und zumindest für die Flüchtlinge ohne echte Chance auf ein Bleiberecht zentral, d. h. auf Landesebene zu organisieren!
4. Bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen ist ein gerechter und transparenter Maßstab anzuwenden!
5. Die Kommunen sind bei der Unterbringung, Betreuung und Integration der Flüchtlinge so zu unterstützen, dass es bei ihnen nicht zu finanziellen Mehrbelastungen oder gar zu Haushaltsschieflagen kommt!
Nach den wiederholten Appellen und Ankündigungen in der Vergangenheit erwartet die kommunale Familie im Kreis Borken von der Politik in Bund und Land endlich konkret wirksame Ergebnisse und Taten.
Städte und Gemeinden im Kreisgebiet sehen sich überproportional in Anspruch genommen
Vor diesem Hintergrund kritisiert die kommunale Familie im Kreis Borken mit Nachdruck die nicht transparente und offenkundig ungerechte Verteilung von Flüchtlingen durch das Land NRW. Die Städte und Gemeinden im Kreisgebiet sehen sich überproportional in Anspruch genommen gegenüber einer Reihe von Großstädten – und dies trotz klarer Verteil-Quoten des Flüchtlingsaufnahmegesetzes NRW (FlüAG), die im Westmünsterland sogar übererfüllt sind, während sie andernorts nicht annähernd erreicht werden. Gleichwohl wurden Kommunen im Kreis wöchentlich mit weiteren Zuweisungen bedacht. Warum das so ist, ist nicht nachvollziehbar. Damit hielt sich das Land nicht an seine Zusage einer gerechten Verteilung. Mehr noch, es machte die Verteilung zur Grundlage einer finanziellen Ungleichbehandlung, da derzeit für die landesseitige Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung diese ortsbezogene fiktive Quote des FlüAG und nicht die Zahl der tatsächlich zugewiesenen Flüchtlinge ausschlaggebend ist. Ein erster Schritt in die richtige Richtung könnte daher die Ende der vergangenen Woche erfolgte Entscheidung des Landes NRW sein, die Zuweisung von Flüchtlingen auf die Kommunen für einige Zeit auszusetzen, die ihre Quote deutlich erfüllt haben.
Im Sinne einer frühestmöglichen und nachhaltigen Integrationsarbeit für die den Kommunen zugewiesenen Flüchtlinge begrüßen die Städte und Gemeinden im Kreisgebiet ausdrücklich den Antrag des Kreises Borken auf Einrichtung eines Kommunalen Integrationszentrums mit den Schwerpunkten Bildung und Beschäftigung, um die Integrationsarbeit vor Ort noch besser zu begleiten und zu unterstützen. Dabei stehen folgende Aspekte im Vordergrund:
· Flüchtlinge mit Bleibeperspektive müssen schnellstmöglich qualifiziert und in Arbeit gebracht werden.
· Ihnen müssen ebenso rasch die freiheitlichen Grundwerte unserer Gesellschaft vermittelt werden.
Fördern und Fordern müssen gleichermaßen Handlungsmaxime der Integrationsarbeit sein!
Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Offenheit der Kommunen sowie die Mitwirkung vieler engagierter Bürgerinnen und Bürger den Grundstein für gelingende Integration bilden und in einer gelingenden Integration auch viele Chancen für die Entwicklung unserer Region gesehen werden. Wollen wir die gesamtgesellschaftliche Herausforderung auch künftig meistern und die gesellschaftliche Akzeptanz sichern, müssen die eingeforderten Rahmenbedingungen schnell wirksam werden. Die kommunale Familie will weiterhin ihren Beitrag dazu leisten.
Borken, 26.01.2016
Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der 17 Städte und Gemeinden im Kreis Borken Der Landrat des Kreises Borken