Lachen in Gesellschaft ist erlaubt. Weinen dagegen, gehört sich nicht! Diese Regel bekommen wir als Kinder, besonders Jungs, schon früh mit auf dem Weg.
Wie die Männer sind! Die schämen sich ihrer Tränen mehr, als ihrer Sünden! Eine geballte Faust, warum die nicht zeigen, aber ein weinendes Auge?!
Dieses Zitat stammt von dem deutschen Dramatiker und Lyriker Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863).
Vielen Menschen fällt es schwer, zu den eigenen Tränen zu stehen
Es gibt viele Gründe dafür, Tränen zu vergießen. Angefangen von einer romatischen Liebeszene im Fernsehen, Schmerzen, ein Wiedersehen nach langer Zeit und vor allem „Trauer“.
Judith Kolschen, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Trauerrednerin und Trauerbegleiterin hat dazu eine kleine Geschichte für Menschen, die sich ihrer Tränen schämen geschrieben:
Die Frau vom Hufschmied
Der große, kräftige und immer gut gelaunte Hufschmied war gestorben, einfach so in seiner Werkstatt tot zusammengebrochen.
Seine Frau war wie betäubt, sie konnte es nicht glauben.
Sie war als starke und mutige Person bekannt und so schaffte sie es auch in dieser Situation, die Fassung zu behalten. Sie tröstete ihre Kinder, organisierte eine große, feierliche Beerdigung und regelte alles was zu tun war.
Damit war sie wochenlang beschäftigt, Freunde und Angehörige kamen, um zu helfen und nach einigen Wochen wurde es so langsam ruhiger.
Als ein halbes Jahr nach dem Tod vergangen war, begannen die Freundinnen und Nachbarn der Witwe sich jedoch Sorgen zu machen: Die Witwe des Hufschmieds wurde immer blasser und dünner, die Augen müde und mit tiefen Schatten unter den Augenhöhlen, ging sie mit hängenden Schultern und schlurfenden Schritten.
Als eine der Nachbarinnen die Witwe darauf ansprach, wusste diese nicht viel dazu zu sagen, sie müsse sich halt jetzt um alles alleine kümmern und es werde schon gehen, es könne ihr da sowieso keiner bei helfen. Die Nachbarin verabschiedete sich hilflos und meinte, es gebe doch die alte Weise Klara im Dorf, die wisse vielleicht einen Rat.
Es gingen noch einige Wochen ins Land, so manches Mal war die Witwe am Rande ihrer Kräfte und als sie eines Morgens nach einer weiteren unruhigen Nacht in ihr bleiches Spiegelbild schaute, beschloss sie, die alte Klara aufzusuchen, einen Versuch war es wohl wert.
Als sie vor deren Haus stand, wollte sie fast schon wieder umkehren, aber sie klopfte dann doch an die Türe.
Die alte Frau öffnete ihr, bat sie herein und während sie Kaffee kochte, begann die Witwe von ihrem Kummer zu erzählen.
Es war, als wäre ein Damm gebrochen, es flossen so viele Tränen, wie in den ganzen vergangenen Monaten nicht und die gute alte Klara hörte einfach nur zu. Manchmal schwiegen sie beide und es war nur ein leises Schniefen und Schluchzen zu hören.
Schließlich entschuldigte sich die Witwe und sagte: „Ich hatte mir so fest vorgenommen, nicht zu weinen!“
Die alte weise Klara schaute sie an und antwortete: „Stelle dir ein kleines Kind vor, das sich nichts sehnlicher wünscht als ein Haustier, schon seit Jahren. Eines Tages kommt der Vater von der Arbeit und überreicht seinem Kind einen Karton mit einem kleinen Hundewelpen und sagt: Das ist ab sofort dein Hund! Würden wir diesem Kind seine Freude und das Lachen verbieten? Oder von dem Kind erwarten, dass es sich im Äußern seiner Freude bedeckt hält?
Warum solltest du dich deiner Tränen schämen, wenn sie doch Ausdruck deines Schmerzes sind, und dieser Schmerz ist Ausdruck deiner Liebe, die du für deinen verstorbenen Mann empfindest.“
Nachdenklich und irgendwie erleichtert ging die Frau des Hufschmieds wenig später an diesem Nachmittag nach Hause.
Sie weinte noch oft in der nächsten Zeit, aber als das zweite Jahr nach dem Tod ihres Mannes begann, freute sie sich mit jeder Träne mehr darauf, sich in Zukunft wieder am Leben freuen zu können.
Judith Kolschen