Bürgermeister Martin Tesing hat angekündigt, bei der Kommunalwahl 2025 nicht erneut zu kandidieren. Während die Gemeinde Raesfeld über die Nachfolge spekuliert, blickt Tesing entspannt auf seine gut vierjährige Amtszeit zurück.
In diesem Interview reflektiert er über persönliche Highlights, Herausforderungen der Gemeinde und gibt Einblicke in die Zukunft.
Persönlicher Rückblick
Was war für Sie persönlich der schönste Moment als Bürgermeister in diesem Jahr?
Es waren gleich mehrere Momente. Angefangen mit dem ersten Spatenstich für das Martinus-Gemeinschaftshaus, über die Förderzusage für die Schlosssanierung, die fast abgeschlossene Umgestaltung des Femeichengeländes, den nun bevorstehenden Abriss des Hauses und den anstehenden Neubau des lang ersehnten Drogeriemarktes bis hin zum noch bevorstehenden ersten Spatenstich für den Bau der Genossenschaftsgaststätte in Erle, um nur einige zu nennen.
Wichtig war mir aber auch, dass das Klimaschutzprojekt beschlossen wurde und wir nun an der Umsetzung arbeiten können. Dazu gehört auch der kommunale Wärmeplan, den wir gleichzeitig als erste Kommune hier in der Region beschlossen haben. Das schafft auch Planungssicherheit für Betriebe und Private.
Gibt es Entscheidungen oder Projekte, die Sie rückblickend anders angehen würden?
Entscheidungen sind nicht immer leicht zu treffen, da sie oft nicht alle Seiten zu 100 % zufrieden stellen. Trotzdem mussten Entscheidungen getroffen werden. Eine dieser wirklich schwierigen Entscheidungen war zum Beispiel die Unterbringung von Flüchtlingen im Erler Jugendhaus.
Welche Ziele setzen Sie sich für das kommende Jahr, beruflich als auch privat?
Ich werde weiterhin mit vollem Einsatz die laufenden Projekte abschließen, bevor ich das Amt im November 2025 übergebe. Gemeinde zu übergeben. Da ich noch bis zum 1. November 2025 voll in diese Tätigkeit eingebunden bin, habe ich mir über die Zeit danach noch keine konkreten Gedanken gemacht.
Gemeindeentwicklung
Welche Projekte konnten 2024 in Raesfeld erfolgreich abgeschlossen werden?
Für Erle und Raesfeld konnten wichtige Bebauungsplanbeschlüsse gefasst werden, so dass wir bereits die ersten preisgünstigen Baugrundstücke vergeben konnten. Gleiches gilt für unsere Gewerbegebiete. So ist die Firma IBO Stalltechnik im Bau und die Firma Nießing Stahlbau steht vor der Erweiterung. Damit werden weitere Arbeitsplätze geschaffen.
Gab es unerwartete Herausforderungen bei der Umsetzung von Bau- oder Infrastrukturprojekten?
Ja, die Coronapandemie, der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise haben die Gemeinde vor unerwartete Herausforderungen gestellt, wie die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen, steigende Baupreise und Lieferschwierigkeiten.
Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung der Gemeinde in den letzten 12 Monaten?
Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Herausforderungen freue ich mich, dass es uns erneut gelungen ist, einen schuldenfreien Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen.
Soziales und Gemeinschaft
Welche Initiativen oder Veranstaltungen haben das Gemeindeleben besonders geprägt?
Ein Höhepunkt für unser Gemeindeleben war sicherlich die 100-Jahr-Feier unserer Raesfelder Burgmusikanten mit dem angeschlossenen „Tag der Vereine“. Sie hat das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt.
Aber auch der einstimmige Beschluss der über 2.000 Mitglieder zum Bau der Genossenschaftsgaststätte in Erle hat mir gezeigt, dass das Gemeinschaftsleben hier funktioniert.
Politik und Verwaltung
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat gestaltet?
Insgesamt war es nicht immer einfach. Aufgrund der Vielzahl und der Komplexität der Themen mussten oft in kürzester Zeit richtungsweisende Entscheidungen für die Gemeinde getroffen werden. Ich denke da zum
Beispiel an das Thema Windkraft oder den Bau der Flüchtlingsunterkunft. Bei diesen schwierigen Entscheidungen, die uns letztlich vom Bund und vom Land NRW abverlangt wurden, konnten nicht immer alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen mitgenommen werden. Das hat teilweise zu Unmut geführt und die Zusammenarbeit erschwert.
Gab es besondere Erfolge oder Herausforderungen in der Kommunikation mit Bürgern?
Das zu Ende gehende Jahr war auch das Jahr der Bürgerversammlungen. So haben wir insgesamt acht Bürgerversammlungen zu den unterschiedlichsten Themen wie Klimaschutzkonzept, Nahwärmeplanung, Wirtschaftswegekonzept sowie Ortskerngestaltung durchgeführt. Das ist wohl ein Rekord in der Geschichte der Gemeinde.
Gleiches gilt für den Bürgerentscheid zur Zwischennutzung des Jugendhauses Erle.
Welche Themen haben die Verwaltung in diesem Jahr am meisten beschäftigt?
Neben den vielen alltäglichen Aufgaben, von denen die Öffentlichkeit wenig mit bekommt, waren das die Ortskerngestaltung und die Windkraft.
Umwelt und Nachhaltigkeit
Welche Fortschritte konnten in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz erzielt werden?
Parallel zur Verabschiedung des Klimaschutzkonzeptes haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder konkrete Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen ergriffen. So konnten wir in diesem Jahr mit der Umgestaltung des Rathausparkplatzes unterhalb des Platzes eine Regenrückhaltung zum Schutz vor Überflutungen bei den immer häufiger auftretenden Starkregenereignissen fristgemäß fertigstellen. Die Maßnahme dient auch der immer wichtiger werdenden Grundwasserneubildung. Jetzt stehen noch Baumpflanzungen an, um einen Schutz vor Überhitzung zu schaffen.
Außerdem haben wir jetzt mit der Verbraucherschutzzentrale NRW ein Angebot zur kostenlosen Energieberatung für Hauseigentümer geschaffen. Davon versprechen wir uns einen Schub bei der energetischen Sanierung älterer Häuser, die bekanntermaßen schlechte Wärmekennwerte haben.
Gesellschaftliche Polarisierung
Ist eine Spaltung der Gesellschaft in Raesfeld spürbar, und wie kann die Gemeinde dem entgegenwirken?
Ja, eine gewisse Spaltung, die vielfach auch durch die sozialen Medien befördert wird, ist auch in Raesfeld spürbar. Die Ursachen und Motive hierfür sind vielfältig. Entsprechend schwierig ist es für die Gemeinde, dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung entgegenzuwirken. Wichtige Gegenmaßnahmen sind die Transparenz von Entscheidungen und die Kraft des guten Arguments.
Angesichts der Vielzahl, der Fremdbestimmtheit und der Kurzfristigkeit von Entscheidungen, die wir in den letzten Jahren treffen mussten, sind diese Gegenmaßnahmen in der Gemeinde in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle schon aus personellen Gründen zu kurz gekommen.
Schuldenfreie Gemeinde – Erfolgsrezept?
Wie gelingt es Raesfeld, seit 32 Jahren schuldenfrei zu bleiben?
Das ist wirklich eine bundesweit beeindruckende Zahl! Sie steht auch dafür, dass die Gemeinde ihre Entscheidungen immer auch mit Blick auf unsere nachfolgenden Generationen getroffen hat, um ihnen keine Schulden zu hinterlassen. Das kann man auch als gelebte Nachhaltigkeit bezeichnen.
Vor diesem Hintergrund freut es mich, dass wir diese Schuldenfreiheit auch in den letzten Jahren halten konnten, in denen wir die höchsten Investitionen in der Geschichte der Gemeinde getätigt haben.
Der Schlüssel dazu lag darin, dass der Rat in der Vergangenheit trotz unterschiedlicher Auffassungen in der Sache immer das gemeinsame Ziel, das Wohl der Gemeinde, im Auge hatte und vor diesem Hintergrund die eine oder andere Entscheidung auch mal zähneknirschend mitgetragen hat.
Kommunalwahl 2025
Warum kandidieren Sie nicht erneut?
Wir haben in diesem und werden im kommenden Jahr eine Vielzahl von Projekten erfolgreich abschließen. Darüber hinaus steht der Regionalplan als wichtigstes Planungsinstrument der Gemeinde im kommenden Jahr vor der Verabschiedung. Das sind wichtige Schnittstellen für die Zukunft der Gemeinde. Vor diesem Hintergrund ist es ein guter Zeitpunkt, das Bürgermeisteramt in jüngere Hände zu legen.
Wie blicken Sie auf Ihre Amtszeit zurück?
Neben der Sicherung des Schulstandortes mit der Neuausrichtung der Julia-Koppers-Gesamtschule und den Gewerbegebietserweiterungen in Erle und Raesfeld um insgesamt fast 40% wurden wichtige Infrastrukturmaßnahmen für die Zukunft der Gemeinde umgesetzt.
Darüber hinaus bieten der Erwerb des Schlosses, der Bau des Bürgerparks und des Femeichengeländes sowie der Eigentümerwechsel im Tiergarten enorme Entwicklungschancen für die Zukunft der Gemeinde. Mit der kommenden Ansiedlung eines Drogeriemarktes konnten wir unser den Bürgerinnen und Bürgern gegebenen Versprechen einlösen. Für das Zusammenleben in der Dorfgemeinschaft sind die Errichtung des Gemeinschaftshauses Martinus, des Vereinshauses und der Genossenschaftsgaststätte in Erle sowie die beschlossenen Platzgestaltungen von nachhaltiger Bedeutung.
Welche Herausforderungen sehen Sie für Ihre Nachfolger?
Mein Nachfolger wird sicher nicht arbeitslos sein. Viele künftige Herausforderungen hängen auch mit den Maßnahmen der letzten Jahre zusammen. Empfehlungen möchte ich nicht aussprechen, da jede Führungspersönlichkeit eigene Prioritäten setzen wird.