Immer mehr Schweine- und Geflügelhalter machen mit – trotz zunehmenden Frusts
Kreis Borken(pd). Die Nutztierhalter im Kreis Borken erbringen weiterhin den Nachweis, dass sie bereit sind, mehr Tierwohl in ihren Ställen umsetzen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu bietet. Das zeigt der Blick auf die aktuellen Anmeldezahlen der Initiative Tierwohl (ITW) im Geflügel- und noch mehr im Schweine-Sektor.
Rindfleischerzeuger schieben Frust
Die teilnahmewilligen Rindfleischerzeuger hingegen schieben Frust. Schon zum Start der ITW Rind steckt die Initiative in der Sackgasse. Mit einer Gesetzesinitiative will Cem Özdemir helfen, bewirkt aber nach Einschätzung des WLV das Gegenteil.
Eine gute Nachricht für Nutztiere im Westmünsterland: Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Zahl der Sauenhalter, Ferkelaufzüchter und Schweinemäster in der Region um satte 58 Prozent gestiegen, die an der ITW teilnehmen.
Noch bemerkenswerter erscheint dieser Zuwachs vor dem Hintergrund, dass die Gesamtzahl der Schweinehalter im Kreis Borken binnen Jahresfrist deutlich gesunken ist. Der Kreisverband Borken des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) schätzt, dass rund zehn Prozent der Betriebe im letzten Jahr ausgestiegen sind (eine aktuelle Regionalstatistik hierzu liegt nicht vor).
Geflügelhalter
Auch bei den Geflügelhaltern ist die ITW-Teilnehmerzahl gewachsen, hier aber mit 10 Prozent etwas langsamer. Der WLV hatte die Statistik für das Westmünsterland bei der Trägergesellschaft der ITW angefragt.
Beim Blick auf diese Zahlen spürt Markus Weiß zwar eine gewisse Genugtuung angesichts des so dokumentierten Veränderungswillens der Bauernfamilien.
Menschen entscheiden an der Supermarktkasse
Zufrieden ist der WLV-Kreisverbandsvorsitzende angesichts der Gesamtentwicklung zum Thema Tierwohl aber nicht: „Was sich schon in der Vergangenheit abgezeichnet hat, wird in der aktuellen Inflationskrise nochmal deutlicher: An der Wahlurne unterstützen die Menschen Forderungen nach mehr Tierwohl, an der Supermarktkasse entscheiden Sie sich trotzdem dagegen.“
Derzeit wohl am stärksten bekommen dies die Rindviehhalter zu spüren. Mit großem Mut seien viele von ihnen in Richtung der erstmaligen ITW-Programmstufe für Rindfleisch gestartet, für die sie ihre Schlachttiere seit diesem März anmelden können.
Wenige Monate später sei die Ernüchterung groß, hat Markus Weiß beobachtet: „Wenn einer das momentan machen möchte, hat er große Probleme, einen Abnehmer für seine Tiere zu finden.“
Wachsende Unruhe im Schweinebereich
Auch im Schweinebereich wachse die Unruhe auf Seiten der Bauernfamilien, ob Schlachtunternehmen, Handel und letztlich vor allem auch Verbraucher die kostenintensiveren deutschen Tierwohl-Schweine überhaupt haben wollen.
Um das Problem zu lösen, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir mit dem Entwurf eines Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes ein Vorhaben auf den Weg gebracht, das mehr Transparenz für den Verbraucher schaffen soll. Diesen Grundgedanken des Gesetzes begrüßt Weiß, sieht aber durch massive Schwachstellen im Gesetz insgesamt sogar mehr nachteilige als positive Effekte:
„Der Entwurf bezieht große Teile der Schweinehaltung, vor allem die Sauen, gar nicht mit ein und beschränkt sich zudem auf die Kennzeichnung von frischem Schweinefleisch im Supermarkt, beim Metzger und im Online-Handel. Die Kennzeichnung von Verarbeitungsware und in der Gastronomie fehlt.“
Gut gemeint, schlecht gemacht
Außerdem springe das Gesetz bei den Überwachungs- und Prüfmechanismen deutlich kürzer als das ITW-System, schüttelt Markus Weiß den Kopf: „Wieder mal gilt: Gut gemeint, schlecht gemacht. Funktionierende Strukturen sowie Kontrollsystematiken sollten durch ein ausgegorenes Gesetz nicht gefährdet werden. Die ITW muss als eigene Stufe in die staatliche Haltungskennzeichnung mit einbezogen werden.“
Aber längst nicht nur die Frage einer konsequenten Haltungskennzeichnung von Tierwohl-Fleisch bleibe aus Sicht der Landwirtschaft unbeantwortet. Herkunftskennzeichnung (Stichwort: 5D), Baurecht. Finanzierung: Zu viele Themen auf der langen Bank.
Enttäuschend
Der durch die Kommission des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert vorgeschlagene Plan einer gesellschaftlich getragenen Nutzierstrategie biete für viele dieser Fragen taugliche Lösungen und müsse zügig umgesetzt werden, fordert Weiß: „Was wir dazu derzeit aus Berlin hören, macht uns aber wenig Mut. Das ist enttäuschend, weil wir schon viel zu lange hingehalten worden sind.“
Zum Thema: Initiative Tierwohl
Mit der im Jahr 2015 gestarteten Initiative Tierwohl (ITW) bekennen sich die Partner aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für Tierhaltung, Tiergesundheit und Tierschutz in der Nutztierhaltung.
Die ITW unterstützt Landwirte finanziell dabei, über die gesetzlichen Standards hinausgehende Maßnahmen zum Wohl ihrer Nutztiere umzusetzen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird bei allen ITW-Landwirten mindestens zweimal jährlich kontrolliert. Das bei teilnehmenden Lebensmittelhändlern zu findende ITW-Produktsiegel kennzeichnet ausschließlich Produkte, die von Tieren aus teilnehmenden Betrieben der ITW stammen. Zu den schon länger in der der ITW vertretenen Nutztierarten Schwein, Hähnchen, Ente und Pute ist seit März 2022 ein Programm für Rinder hinzugetreten. Hierzu liegen noch keine Zahlen zu den Anmeldungen vor.
An der Wahlurne unterstützen die Menschen Forderungen nach mehr Tierwohl, an der Supermarktkasse entscheiden Sie sich trotzdem dagegen.“
Markus Weiß – WLV-Kreisverbandsvorsitzende
